FLECHSIG

Norbert P. Flechsig (Hrsg.)

SWR-Staatsvertrag
Kommentar
Der Staatsvertrag über die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt "Südwestrundfunk" (SWR) mit je einem Landessender für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Erläutert von:

Dr. Sabine Astheimer
Dr. Wilfried Enz
Prof. Dr. Norbert P. Flechsig
Dr. Alfred Grupp
Dr. Armin Herb
Dr. Felix Hertel
Bernd Radeck
Dr. Wolfgang Sagert
Dr. Alfred Schmitz
Peter Wiechmann


Vorwort

Mit dem Staatsvertrag über die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Südwestrundfunk (SWR) mit je einem Landessender für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist mit Blick auf die Entwicklung des Rundfunks im Südwesten nach einem halben Jahrhundert ein neues Kapitel der Rundfunkordnung in den vertragsschließenden Ländern aufgeschlagen. Diese Veränderungen der Rundfunklandschaft in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gebieten die Notwendigkeit, diesen SWR-Staatsvertrag näher zu erläutern. Mit der unabhängigen Inhaltsbeschreibung und Interpretation des SWR-Staatsvertrages sollen sowohl dem Praktiker in und außerhalb des Rundfunks wie zugleich auch dem am Südwestrundfunk im besonderen und dem am Rundfunkrecht im allgemeinen Interessierten die Verfassung und Organisation des Südwestrundfunks und damit ferner die Grundlagen öffentlich-rechtlicher Rundfunkordnung anschaulich vermittelt werden.

Die vorgelegten, erläuternden Darstellungen des SWR-Staatsvertrages sind gegenwärtig wie zukünftig von besonderer Bedeutung. Dies gilt auch in Beziehung auf die  Beispielhaftigkeit dieses Ordnungsrahmens und der Organisationsprinzipien des SWR angesichts einer möglichen Neuordnung der ARD in der seit 1985 bestehenden dualen Rundfunkordnung in Deutschland.

Die Autoren zielen mit dieser Kommentierung darauf ab, Medium und Faktor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie er in dem Staatsvertrag über den Südwestrundfunk zum Ausdruck gekommen ist, unabhängig zu beschreiben und zu erklären. Sie sind ausnahmslos im öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit vielen Jahren tätig und deshalb mit den jeweiligen Fragestellungen des Rundfunkrechts wie des weiteren Medienrechts besonders vertraut. Ihre Erläuterungen und Kommentierungen sind ausschließlich ihre persönlichen Auffassungen.
 

Stuttgart, den 30. November 1997

Norbert P. Flechsig


Die Entwicklung des Rundfunks im Südwesten Deutschlands

Richtig zu verstehen ist der Weg zur Zweiländeranstalt "Südwestrundfunk" nur, wenn man einen Blick auf die Geschichte der Rundfunktopographie im deutschen Südwesten nach dem  II. Weltkrieg wirft.

- 1945: Rundfunk in den Besatzungszonen

Nach dem II. Weltkrieg kam es in Deutschland  zu erheblichen Umstrukturierungen in der  Verwaltungsgliederung durch Einteilung des Territoriums in die vier Besatzungszonen, die häufig nur auf den unteren Ebenen (Bezirke und Kreise) an die alte Territorialgliederung anknüpften. Die französische Besatzungmacht erhielt die Regierungsbezirke Koblenz, Trier und Montabaur sowie die linksrheinische Pfalz. Die Amerikaner setzten durch, daß dem französischen Alliierten lediglich der südliche Teil von Württemberg und Baden zugesprochen wurde: die Kreisgrenzen südlich der Autobahn Karlsruhe-Stuttgart-Ulm bildeten im Südwesten die Grenze zwischen den beiden Besatzungszonen. Die Franzosen errichteten eine zentrale Rundfunkstation für ihre Zone am Standort ihres Oberkommandierenden in Baden-Baden: Der Südwestfunk, dessen regelmäßiger Sendebetrieb mit dem 31. März 1946 um 6.45 Uhr festgehalten ist und dessen erste Rechtsgrundlage in der Ordonnance Nr. 187 des französischen Oberkommandos in Deutschland vom 30. Oktober 1948 zu sehen ist, war zuständig für das 1947 gegründete Land Rheinland-Pfalz und die beiden Länder Württemberg-Hohenzollern und Baden.
Aus den nördlichen Teilen von Baden und Württemberg entstand innerhalb der amerikanischen Zone das Land Württemberg-Baden. Getreu dem Prinzip, in jedem Land ihrer Besatzungszone eine Radiostation zu errichten, wurde Stuttgart nun Sitz der für diesen Landesteil zuständigen Radiostation und knüpfte damit an seine Tradition als Rundfunkstandort seit 1924 wieder an.

Damit aber war die - seit 1949 öffentlich-rechtliche - Rundfunktopographie auf fast fünfzig Jahre festgeschrieben. Obwohl sich bereits seit dem Ende der vierziger Jahre ein Zusammenschluß der drei südwestdeutschen Länder abzeichnete, verhandelten Württemberg-Hohenzollern, Baden und Rheinland-Pfalz über einen Staatsvertrag, der die noch von den Franzosen, der "Division de L'information - Section radiodiffusion" in Baden-Baden erlassene weitere Ordonnace Nr. 198 vom 19. Januar 1949 über den Südwestfunk - ehedem anfangs Südwestdeutscher Rundfunk genannt - durch eine deutsche Rechtsgrundlage ablösen sollte. Als bereits die entscheidende Volksabstimmung gelaufen und der Termin der Südweststaatsgründung nur noch eine Frage der Zeit war, ratifizierten die drei Länder in aller Eile im März und April 1952 noch den Staatsvertrag über den Südwestfunk, der am 1. Mai 1952 erst nach der Gründung des Südweststaats am 25.4.1952 in Kraft trat. Er hatte erst einmal eine Gültigkeit von zehn Jahren und sollte nach Meinung der christdemokratisch regierten Vertragspartner nicht nur ein Gegengewicht gegen den "roten" Süddeutschen Rundfunk - sein Intendant Fritz Eberhard  war SPD-Mitglied - bilden. Rheinland-Pfalz sah überdies keine Möglichkeit, eine eigene Anstalt für das Bundesland in Erwägung zu ziehen, wie auch aus parteipolitischen Gründen man mit dem SPD-regierten Hessen keine gemeinsame Sache machen wollte. Die Konsequenz war, daß das neue Bundesland Baden-Württemberg mit Stuttgart und Baden-Baden den Sitz zweier öffentlich-rechtlicher Landesrundfunkanstalten beherbergte. Mochte sich die baden-württembergische Landesregierung anderer, vorrangiger Themen im Kontext des Zusammenwachsen des Südweststaats der Situation im Rundfunkbereich nicht zuwenden, so sorgten jedoch andere dafür, daß die Diskussion um eine der Länderneugliederung nachfolgende Rundfunkneugliederung nicht verstummte.

- 1953: "Entwurf eines Gesetzes über die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks"

Bereits im Juli 1953 entfachte ein Gesetzentwurf des Bundesinnenminsteriums für ein Bundesrundfunkgesetz erhebliches Aufsehen. Der Entwurf, der eine Neueinteilung der Sendebezirke in der Bundesrepublik vorsah, wurde vom Bundestag am 15. April 1953 in erster Lesung behandelt (BTag-Drucksache 1/4198). Die Vorlage trug den Titel "Entwurf eines Gesetzes über die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks". Diese Bezeichnung sollte zunächst den Inhalt des Gesetzes charakterisieren; sie war aber zugleich ein Hinweis dafür, daß die Gesetzesinitiatoren glaubten, durch die Bezugnahme auf gemeinsame Aufgaben eine Begründung für die Notwendigkeit und für die Zulässigkeit des Gesetzesvorhabens gefunden zu haben.

Danach wäre der rheinland-pfälzische Teil des SWF mit dem HR , der südliche Teil zu einem Sendebereich Südwest mit dem SDR zusammengefaßt worden. Die Aufregung über diesen Vorschlag war beträchtlich. Die Anstalten SDR, SWF und HR verhandelten sogar unter dem Druck dieses Gesetzentwurfes über eine engere Programmkooperation, aber schon bald war der Neugliederungsvorschlag aus der Diskussion.

Im Vorfeld der anstehenden Verlängerung des Staatsvertrages gab es Ende der fünfziger Jahre sowohl bei der baden-württembergischen SPD wie bei der rheinland-pfälzischen Landesregierung kurzzeitig Überlegungen, das Gesetzgebungsverfahren dafür zu nutzen, um andere rundfunkpolitische Ziele zu verfolgen. In Rheinland-Pfalz dachte man vor allem daran, die Repräsentanz des Landes innerhalb des Südwestfunks zu stärken. Die Existenz des SWF war nie ernsthaft  gefährdet. Als Bischoff 1964 ankündigte, 1966 nicht wieder für die Funktion des Intendanten beim SWF zu kandidieren, kam erneut Bewegung in die Diskussion. Der Intendant des seit dem 1. Januar 1957 wieder dem deutschen Hoheitsgebiet zugehörigen Saarländischen Rundfunks, Franz Mai, machte sich für eine gemeinsame Rundfunkanstalt für Rheinland-Pfalz und das Saarland in Saarbrücken stark. Dieses Vorhaben war vom SDR-Intendanten Hans Bausch kräftig unterstützt worden, der sich schon damals für einen Landessender Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart einsetzte. Er forderte im Herbst 1964 in einem Exposé  für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Peter Altmeier eine Übereinstimmung von Ländergrenzen und der Organisation der Rundfunkanstalten. Damit brachte er das von ihm favorisierte, aber letzten Endes nicht erreichte Modell eines baden-württembergischen Landessenders erneut ins Spiel. Ohne daß auf Details eingegangen werden kann, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß Rheinland-Pfalz im Rahmen der Strukturdebatte immer wieder darauf hinwies, daß gegenüber der SWF-Zentrale eine stärkere Berücksichtigung dieses Bundeslandes vor allem im Fernsehprogramm und der Ausbau der SWF-Dependance in Mainz  erfolgen müsse.

- 1968-1970: Michelkommission

Bauschs Bemühen hinter den Kulissen hatten einen wesentlichen Anteil daran, daß die nicht enden wollenden Diskussionen und Forderungen nach Änderungen der Rundfunkstruktur in der rundfunkpolitischen "Wetterecke" des deutschen Südwestens darin mündeten, daß die Ministerpräsidenten der drei Bundesländer die sogenannte Michelkommission ins Leben riefen, die am 19. Juli 1968 zum ersten mal tagte und die am 27. Februar 1970 ihren Bericht vorlegte. Dabei muß berücksichtigt werden, daß am Ende der sechziger Jahre - entfacht vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Heinz Kühn - eine Länder-Neugliederungsdebatte des gesamten Bundesgebiets in Gang kam. Die Länderneugliederung sollte der Rundfunkneuordnung vorausgehen. Der ausführliche und später viel zitierte Bericht der Michelkommission erbrachte jedoch kein einheitliches Votum ihrer insgesamt aus sieben Mitgliedern bestehenden Gruppe. Eine Mehrheit (vier Stimmen) empfahl eine Zweierlösung, d.h. eine Zweiländeranstalt für Rheinland-Pfalz und das Saarland einerseits und eine Landesrundfunkanstalt für Baden-Württemberg andererseits, eine Minderheit (zwei Stimmen) trat für eine Dreiländeranstalt (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland) ein und ein Kommissionsmitglied wollte es beim Status quo belassen. Verworfen wurde im Michel-Bericht ausdrücklich eine Zweiländeranstalt für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz unter Ausschluß des Saarlandes. In ihren Stellungnahmen reagierten die betroffenen Rundfunkanstalten unterschiedlich: der Südwestfunk nannte den Bericht "eher vergangenheitsorientiert als zukunftbezogen". Bausch bekräftigte für den SDR seine Forderung nach einem Landessender für Baden-Württemberg. Spätfolge des Michel-Gutachtens war eine den drei Landesrundfunkanstalten von den Ministerpräsidenten auferlegte Kooperation in den zweiten, den finanziell aufwendigen Hörfunk-Kulturprogrammen. Teile des Tagesprogramms wurden im SDR, SR und SWF gemeinsam ausgestrahlt, andere blieben kooperationsfrei.

- 1983: Erneute Strukturdiskussion

Anfang Juni 1983 kam wieder Bewegung in die Strukturdiskussion. In seiner Regierungserklärung nach der Landtagswahl stellte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel  die bestehende Rundfunkstruktur in Frage, machte aber schon bald wieder einen Rückzug, da durch seine Äußerungen im Südwestfunk "ein Denken in die richtige Richtung" insoweit in Gang gekommen sei, als man rheinland-pfälzische Forderungen nach verbesserter Repräsentanz des Landes vor allem im Dritten Fernsehprogramm und im Hörfunk ernsthaft prüfe.

Der Denkanstoß des Mainzer Ministerpräsidenten setzte jedoch vertrauliche Gespräche und Planungsüberlegungen auch in Stuttgart wieder in Gang. Erörtert wurden Modelle für eine Dreierlösung, bei der unterhalb einer in Baden-Baden angesiedelten Dachgesellschaft drei Landessender (Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart, Rheinland-Pfalz mit Sitz in Mainz und Saarland mit Sitz in Saarbrücken) aufgebaut werden und Baden-Baden als Produktionsstandort  ausgebaut werden sollte. Doch in seiner Regierungserklärung nach der Landtagswahl im Juni 1984 ging Ministerpräsident Lothar Späth auf diese Vorschläge zunächst nicht ein.

-  1985: Mediengesetze in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Die Beratungen über die Landesmediengesetze in den Ländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz tangierten die Frage der Neugliederung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht.

- 1988: Prüfung einer Neukonzeption

Erst im Juni 1988 eröffnete Späth die Debatte, als er in seiner nach der nächsten Landtagswahl fälligen Regierungserklärung ankündigte, mit der rheinland-pfälzischen Landesregierung erneut die Möglichkeiten einer Neukonzeption zu prüfen. Die im Laufe der dieser Ankündigung folgenden Monate bekanntgewordenen Details sahen eine Stärkung des Standortes Mainz vor, eine Vorstellung, die auf der bisherigen Linie der Mainzer Regierung lag. Da die Zentrale einer neukonzipierten Zweiländeranstalt in Baden-Baden vorgesehen war, liefen die Planungen auf eine erhebliche Schwächung des Standortes Stuttgart hinaus.

In Lothar Späths Bestrebungen einer Intensivierung der Debatte und in den begleitenden Begründungen für eine Rundfunkneugliederung spielten neben den klassischen Argumenten für die Bereinigung der aus der Nachkriegszeit überkommenen Rundfunkstruktur unter anderem zwei Überlegungen eine Rolle: die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einer größeren Rundfunkanstalt auf den sich drastisch verändernden Programm- und Teilnehmermärkten im Rundfunkbereich sowie die Entwicklung konsumbelebender Technologien im Verbund mit der High-Tech-Industrie. Späth hatte bereits Ende 1981 den "Beginn einer revolutionierenden Veränderung traditioneller Strukturen, die tiefgreifende Auswirkungen auf alle Bereiche der Gesellschaft haben wird" erwartet. Möglicherweise waren diese Veränderungen ihm so wichtig, daß er die Schwächung des Standortes Stuttgart in Kauf nehmen wollte. Doch auch das aus dieser Zeit stammende Gutachten der Unternehmensberatungfirma McKinsey mit dem Ergebnis, daß eine Fusionslösung erheblich höhere Einspareffekte als eine Kooperation erzielen würde, führte nicht dazu, daß der Ministerpräsident eine klare Mehrheit in der CDU-Landtagsfraktion für eine Fusionslösung hinter sich bringen konnte. Widerstand gab es von seiten der Stuttgarter Landtagsabgeordneten. Skeptische Töne waren auch vom  Fraktionsvorsitzenden der CDU im baden-württembergischen Landtag Erwin Teufel zu hören, der schon Mitte der achtziger Jahre sich sehr zurückhaltend gegenüber den Überlegungen zur Neugliederungen aus Mainz geäußert hatte. Teufel war nicht nur Sprachrohr seines südbadischen Regionalverbandes, der eine Fusion ablehnte, sondern aus grundsätzlichen Überlegungen damals nicht vom Wert einer Fusion überzeugt.

Während im politischen Raum noch über das McKinsey-Gutachten diskutiert wurde, verhandelten seit Ende 1989 Süddeutscher Rundfunk und Südwestfunk über eine verstärkte Kooperation. Sie legten das Ergebnis ihrer Gespräche Anfang Februar 1990 vor: Geschäftsleitungen und Gremien stimmten ihm in kurzer Frist zu. Kernpunkte der Vereinbarung im Hörfunk waren, daß SWF und SDR ein gemeinsames zweites Kulturprogramm (S2 Kultur) und eine gemeinsame vierte Hörfunkkette in Baden-Württemberg (S4 Baden-Württenberg) mit regionalen Fenstern für die Programme der Regionalstudios betreiben. Im Fernsehen wurde ein gemeinsamer Programmbereich von SDR und SWF für das Landesprogramm Baden-Württemberg ins Auge gefaßt. Zum 1. Januar 1991 traten die Vereinbarungen in Kraft.

Anfang  März 1990 nahmen auch die beiden Ministerpräsidenten Späth und Wagner die Kooperationsvereinbarung billigend zur Kenntnis: damit war  das Fusionsvorhaben wieder einmal vom Tisch.

- 1994 ff.: Neudiskussion einer Rundfunkreform

Im November 1994 eröffnete der seit dem 1.April 1993 im Amt befindliche SWF-Intendant Peter Voß erneut die Diskussion um eine Rundfunkreform im Südwesten; eine Diskussion übrigens, die immer  wieder begleitet war von Forderungen verschiedener Unionspolitiker nach einer Reform der ARD. Im Sommer 1995 konkretisierte Voß sodann sein Konzept, das erneut in Richtung Fusion der beiden südwestdeutschen  Rundfunkanstalten ging (Südwest 2000), zunächst unter Einbeziehung des Saarländischen Rundfunks, dann unter Ausschluß desselben.

Der SDR-Intendant Hermann Fünfgeld verteidigte anfangs das seinem Eindruck nach erfolgreiche Kooperationsmodell von SDR und SWF und setzte in mehrfachen Diskussionsbeiträgen seine Vorstellung von einem baden-württembergischen Landessender gegen die Pläne von SWF-Intendant Peter Voß. Noch Ende April 1996 billigten die Gremien des SDR ein vom Intendanten erarbeitetes Papier, in dem noch einmal ausdrücklich die Errichtung eines Landessenders als der richtige Weg zur Rundfunkreform im Südwesten bezeichnet wurde.

Während dieser öffentlichen Debatte hielten sich maßgebliche Politiker mit Äußerungen zum weiteren Vorgehen in der Strukturdebatte zurück. Die Landtagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen  sowie der Republikaner beantragten am 18. Juli 1996 daraufhin eine Enquète-Kommission des Landtages zur Fusion einzusetzen, um die Diskussion über die Fusionspläne wieder stärker beim zuständigen Gesetzgeber zu verorten. Noch vor der Beendigung dieser Kommissionstätigkeit mit dem Bericht vom 18. Juni 1997 (Landtagsdrucksache 12/1560) lag der unterzeichnete Südwestrundfunk-Staatsvertrag auf dem Tisch. Die Kommission kam in ihrem vorgelegten Bericht mit den Stimmen der Kommissionsmitglieder von CDU, SPD und FDP/DVP zu der Empfehlung, daß der SWR-Staatsvertrag (SWR-StV) ausdrücklich begrüßt wird. Die Enquète-Kommission empfiehlt die Gründung einer neuen SWR-Rundfunkanstalt als wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Medienstandorts Baden-Württemberg und dessen Wettbewerbsfähigkeit.

- Intendantenpapier von SDR und SWF

Die vom SDR-Intendanten favorisierte Bildung einer Rundfunkanstalt für Baden-Württemberg in Verbindung mit einer vergleichbaren Lösung für Rheinland-Pfalz, das Saarland und Hessen wurde von den Nachbarländern nicht aufgegriffen. Damit konnten die vom SDR entwickelten Modelle für Baden-Württemberg und weitere Länder sowie die Bildung einer Mehrländeranstalt, die sich nach den Vorstellungen des SDR an Landesprogrammen ausrichten und ihren Sitz in der Landshauptstadt nehmen sollte, nicht verwirklicht werden.
Die Intendanten von SDR und SWF einigten sich innerhalb weniger Wochen auf ein Strukturkonzept für eine neu zu gründende Anstalt und stellten dieses am 16. August 1996 der Öffentlichkeit vor. Das sogenannte Intendantenpapier nahm einige der schon früher ins Spiel gebrachten Ideen hinsichtlich eines gerechten Interessenausgleichs zwischen den beiden Bundesländern und die damit verbundenen Organisations- und Programmfragen auf. Beide Intendanten verzichteten jedoch auf eine Empfehlung hinsichtlich des Intendantensitzes.

- Einigung der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Die amtierenden Ministerpräsidenten Erwin Teufel und Kurt Beck griffen die Lösungsmodelle der Leitungen  von SDR und SWF auf und begannen bereits am 6. Oktober 1996 mit ersten Gesprächen über einen Staatsvertrag über eine, die beiden Sender verbindende fusionierte neue Anstalt. Nach mehreren Gesprächen kam es im Frühjahr rasch zu einer Einigung, so daß der hier kommentierte Staatsvertrag am 15. April 1997 paraphiert und - mit einer kleiner Änderung die regionalen Fenster in den übergreifenden Programmen betreffend - am 31. Mai 1997 unterschrieben wurde. Nach zweimaliger Lesungen der Regierungsvorlage zum Zustimmungsgesetz zum SWR-StV in den Landtagen von Baden-Württemberg (LTags-Drucksache 12/1608 am 19. Juni und 16.  Juli 1997 - mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von CDU und FDP sowie den meisten Parlamentariern der oppositionellen SPD. Bündnis 90/Die Grünen, einzelne sozialdemokratische Abgeordnete  sowie die Republikaner votierten gegen die Senderfusion) und Rheinland-Pfalz (LTags-Drucksache 13/1726 am 18. Juni und 18. Juli 1997 - mit den Stimmen der SPD, FDP und der CDU-Opposition, letztere mit dem Hinweis, sie stelle bei ihrer Zustimmung Bedenken unter anderem gegen die Zusammensetzung der Anstaltsgremien zurück, um die dringend notwendige Neuordnung des Rundfunks im Südwesten nicht zu gefährden) ist der SWR-StV nach Veröffentlichung in den Gesetzesblättern (GBl. Baden- Württemberg 1997, S.300-315, und GVBl. Rheinland-Pfalz 1997, S. 261-273) und nach dem anschließenden Austausch der Ratifikationsurkunden am 1. Januar 1998 in Kraft getreten.

- 1998: Gründung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt "Südwestrundfunk" (SWR) mit je einem Landessender für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz

Mit den erwähnten Zustimmungsgesetzen der Länder Rheinland-Pfalz und Baden- Württemberg ist der Staatsvertrag über den Südwestrundfunk über die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt "Südwestrundfunk" (SWR) mit je einem Landessender für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz in Kraft getreten, die Anstalt nach Maßgabe des § 44 SWR-StV am 1. Januar 1998 gegründet.

Damit wurde eine 46 Jahre dauernde, in der Bundesrepublik einmalige rundfunkpolitische Teilung des Landes Baden-Württemberg überwunden und auf dem Gebiet des Rundfunks eine landeseinheitliche Organisation hergestellt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird durch die Neugründung SWR in einer Phase des raschen Wandels der dualen Rundfunklandschaft und in einer Phase der Herausforderung durch neue Informationstechniken für die Zukunft gestärkt. Die Hörer und Zuschauer erhalten ein Mehr als bisher auf landesbezogene Inhalte abgestimmtes und erneuertes Programmangebot.

Die neue länderübergreifende Rundfunkanstalt mit zwei Landessendern für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verfügt über ein Gebührenaufkommen von rund 1,6 Mrd. DM. Hierin sind rund 4.300 Mitarbeiter beschäftigt. Der SWR wurde damit nach dem WDR und vor dem NDR die zweitgrößte Anstalt der ARD. Der SWR hat als neue Anstalt die traditionelle Verfassung mit Intendant, Rundfunkrat und Verwaltungsrat.

Die Unternehmensverfassung ist durch die Besonderheiten geprägt, daß bei den Landessendern aus den dem jeweiligen Land zugeordneten Mitgliedern der Rundfunk- und Verwaltungsräte Landesrundfunkräte mit eigenen Rechten gebildet werden und die Zusammensetzung sowie die Dienstorte der Mitglieder der Geschäftsleitung staatsvertraglich  festgelegt sind.

Der Staatsvertrag umschreibt die zu veranstaltenden Programme mit je zwei Landeshörfunkprogrammen für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, zwei landesübergreifenden Hörfunkprogrammen sowie im Dritten Fernsehprogramm je ein Landesfensterprogramm für Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, eingebettet in ein gemeinsames Mantelprogramm, das 70 % der Sendezeit ausmacht. Der SWR ist wie bisher die Rundfunkanstalten SDR und SWF an den ARD-Gemeinschaftsprogrammen im Fernsehen beteiligt; weitere Programme stehen unter dem Vorbehalt staatsvertraglicher Zulassung.

- Bewertung durch die Organe des SDR und des SWF

Der Staatsvertrag wurde von den Organen der Rundfunkanstalten SDR und SWF mit Zurückhaltung aufgenommen.

Uneingeschränkt positiv wurde die politische und rundfunkhistorische Leistung der beiden Ministerpräsidenten bewertet, in kurzer Verhandlungszeit von rund sechs Monaten zu einem tragfähigen und vertretbaren Kompromiß zu kommen. Dies gilt insbesondere angesichts des Schicksals früherer Reformvorhaben.
Bedingt positiv wurde der Staatsvertrag unter den Gesichtspunkten Rundfunkautonomie und Rundfunkökonomie bewertet. Die Intendanten hatten mit ihrem Reformvorschlag vom 14. August 1996 die Hoffnung verbunden, daß die Politik ihre Regelungskompetenz nicht bis zu den Grenzen des verfassungsrechtlich zulässigen ausschöpfen werde. Vorsorglich verständigten sich die Intendanten  frühzeitig darauf, den Tübinger Verfassungsrechtler Thomas Oppermann mit einem Gutachten zu dieser Frage zu betrauen. Diese Vorsorgemaßnahme war gerechtfertigt. Das Gutachten von Prof. Oppermann machte deutlich, daß vor allem zwei Regelungen im Lichte des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG der staatsvertragliche Vorbehalt der Veranstaltung von weiteren Programmen und das Verbot, in länderübergreifenden Hörfunkprogrammen regionale und landesbezogene Fenster einzufügen, problematisch sind. Die unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten besonders kritisierte Bestimmung des § 3 SWR-StV, der ein Verbot für regionale und landesbezogene Fenster in den landesübergreifenden Hörfunkprogrammen vorsah, wurde daraufhin ersatzlos gestrichen.
Hinsichtlich des Vorbehalts der Zulassung weiterer Programme gehen die Organe des SDR aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung des SWR-StV davon aus, daß  ein Anspruch auf Zulassung besteht, wenn die Notwendigkeit neuer Programme zur Erfüllung der Grundversorgung vorliegen.

Die strukturellen Vorgaben des Staatsvertrages zur internen Organisation der neuen Rundfunkanstalt sind durch standortpolitische Festlegungen geprägt. Sie stellen für das Ziel, durch die Neuorganisation erhebliche wirtschaftliche Synergie-Effekte zu erreichen, ein schwer zu überwindendes Hindernis dar. Der Unternehmensleitung und den Organen des SWR bleibt es überlassen, die Spielräume und Interpretationsfragen optimal auszunutzen. Anzustrebende Wirtschaftlichkeitsvorteile einer Neuorganisation werden mittelfristig hinter dem Möglichen und Wünschbaren zurückbleiben.

Aus der Sicht der alten Anstalten SDR und SWF bedeutet die mit dem SWR gefundene Lösung ein Ergebnis der Reformdiskussion, das zu Jahresbeginn 1996 nicht als selbstverständlich erwartet werden konnte. Der Staatsvertrag für den SWR ist sicher nicht die Ideallösung. Sie ist eher die zweitbeste Lösung, sie hat aber den Vorteil, daß sie realisiert wird und damit auf jeden Fall gegenüber dem Status quo einen deutlichen Fortschritt darstellt.

- Ausblick

Mit der Neugründung des Südwestrundfunks (SWR) beginnt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz eine neue Phase. Aus der Sicht des  Süddeutschen Rundfunks und des Südwestfunks dient die Reform dem verfassungsrechtlichen Optimierungsgebot für die Wahrnehmung der Rundfunkfreiheit. Die Hauptziele der Zusammenlegung sind die Verbesserung des bestehenden Programmangebotes und die Wahrnehmung neuer programmlicher und technischer Möglichkeiten, ferner die Erhöhung der publizistischen Wettbewerbsfähigkeit und die Steigerung der Wirtschaftlichkeit.

Der Staatsvertrag über den Südwestrundfunk enthält die Chance, daß auf diesen drei rundfunkpolitischen Zielbereichen Fortschritte erzielt werden können. Alle drei Bereiche sind verbunden und nicht isoliert zu betrachten. Der Staatsvertrag bietet einen vertretbaren Rahmen für die Optimierung der programmlichen, wettbewerbsmäßigen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Durch den Staatsvertrag für die Neugründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz wurde der Grundstein gelegt für eine gegenüber der bisherigen Struktur unumkehrbare Verbesserung: Durch Integration von zwei voll funktionsfähigen Unternehmen in einer Einheit können die Ressourcen besser genutzt werden. Durch die Möglichkeit des Abbaus von Doppelstrukturen werden personelle und materielle Potentiale frei, die in die Entwicklung der bestehenden Programme und in zusätzliche, durch den publizistischen Wettbewerb bestimmte Aufgaben investiert werden können. Gleichzeitig bietet sich die Chance, nach Bewältigung der Integrationsphase eine Optimierung des neuen Unternehmens entsprechend den Erfordernissen des Wettbewerbs im dualen System vorzunehmen.

Die Neuordnung dient nicht dem von Lobbyisten des kommerziellen Rundfunks geforderten "Gesundschrumpfen" oder der Festschreibung von Wettbewerbsnachteilen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Konkurrenz des dualen Systems. Die Rundfunkneuordnung dient vielmehr der Optimierung der allen Bürgern dienenden gesellschaftlichen Einrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

Die Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben in der "Gemeinsamen Protokollerklärung" zum Staatsvertrag über den SWR unter der Rubrik "Ziele" an erster Stelle "eine Stärkung der Landesidentität beider Länder durch Schaffung landesbezogener einheitlicher Programmstrukturen" genannt. Die Stärkung der Landesidentität ist eingebettet in die vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als einer "integrierenden Funktionen für das Staatsganze" (BVerfGE 31, 314, 329 - Umsatzsteuer). Diese Funktion kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur erfüllen, wenn er zu einem umfassenden Programmangebot in der Lage ist und im Wettbewerb mit den kommerziellen Anbietern uneingeschränkt wettbewerbsfähig bleibt. Nur so kann das duale System insgesamt seine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geforderte Funktionsfähigkeit erfüllen. Die Interpretation des Staatsvertrages im Sinne einer Festschreibung der Programminhalte und der Programmumfänge nach dem publizistischen Stand des Jahres 1997 oder im Sinne einer Einschränkung der technisch-physikalischen Verbreitungsmöglichkeiten der Programme würde das gemeinsame Ziel der vertragsschließenden Länder in Frage stellen.

Der SWR hat die Aufgabe, seine publizistische Funktion unter Ausnutzung der vorhandenen finanziellen Ressourcen bestmöglich zu optimieren. In der Anfangsphase des neuen Unternehmens werden außerordentliche Belastungen und Risiken zu verkraften sein. Denn: Die Neugründung findet nicht in der "Stunde Null" statt. Rund fünf Jahrzehnte zweier gewachsener Unternehmensstrukturen prägen das Zusammenwachsen. Regionalen und landesspezifischen Standortinteressen mußte bei der Abfassung des Staatsvertrages Rechnung getragen werden. Standortgerechtigkeit ist nicht ohne weiteres kompatibel mit dem Ziel der Wirtschaftlichkeit. Der Staatsvertrag hat den Vorstellungen der Intendanten von SDR und SWF für eine flexible und wettbewerbsfähige Unternehmensverfassung nur zum Teil Rechnung getragen. Die in mehrstelliger Millionenhöhe zu erwartenden Kosten der Zusammenlegung verteilen sich  über einen längeren Zeitraum. Diese besonderen Umstände unterscheiden die Gründung des SWR von der Neugründung einer Rundfunkanstalt "auf grüner Wiese".

Die bis zum 30. September 1998 bestehenden Landesrundfunkanstalten SDR und SWF müssen ihr Programmangebot bis zu diesem Tage grundsätzlich in vollem Umfang uneingeschränkt leistungsfähig aufrechterhalten und gleichzeitig die Vorbereitungen für die Konzeption eines völlig neuen Programmangebotes treffen. Die Gründung des neuen Unternehmens ist deshalb nicht nur mit wirtschaftlichen Risiken behaftet; in der Anfangsphase des neuen Unternehmens müssen Zusatzkosten durch reformbedingte Belastungen bewältigt und die Mitarbeiter aller Bereiche für den Geist der neuen Anstalt gewonnen werden.
 
 



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